Frankfurter Rundschau, 22.04.2002




Der Schritt in die Meta-Economy
Das Feuilleton als Wirtschaftsfaktor: Was Naomi Klein und ein Möbelhändler aus Berlin-Mitte gemeinsam haben

Auf der Torstrasse in Berlin-Mitte gibt es ein Geschäft, das immer geschlossen ist. Über dem Eingang hängt ein Leuchtkasten mit einem minimal designten Firmenlogo: Moebel Horzon. Drinnen stehen in einem klinisch weißen Raum Regale, die mit Telefonbüchern, Aktenordnern und Langspielplatten gefüllt sind. Alles ist sehr stilsicher aufeinander abgestimmt und bestens ausgeleuchtet. Der Anblick ist eine Wonne. Man könnte das Ganze auf den ersten Blick für das Werk eines betuchten Markenaktivisten halten. Wer sonst würde Geld und Mühe darin investieren, einen Begehren weckenden Verkaufsraum zu etablieren, der den Kaufwunsch schürt, aber nicht unmittelbar befriedigt? Und stattdessen seine potentiellen Kunden mit umprogrammierten Slogans von so unterschiedlichen Marken wie Diesel, Nokia und FAZ zutextet: "Moebel Horzon: Dahinter steckt immer ein kluger Kopf", "Moebel Horzon: connecting people" oder "Happiness is now sponsored by Moebel Horzon."

Wenn man dann auch noch über sieben Ecken einen weitergeleiteten Newsletter von Moebel Horzon erhält, bestätigt sich der Eindruck, dass es sich hier um Marken-Satire handeln muss. "Liebe Leserinnen, liebe Leser, was gibt es Schöneres als einen gemeinsamen Abend unter guten Freunden, ein versöhnendes Gespräch, ein Kinderlachen? Ein neues Regal von Moebel Horzon.
Und weil wir unsere Kunden zufriedenstellen möchten, arbeiten wir bei Moebel Horzon fast täglich an der Verbesserung unseres bestehenden Programms." Solche Zeilen lassen sich natürlich prima als Persiflage auf die New Economy lesen. Gern wird nämlich nicht nur hinzugefügt, dass der Dienst am Kunden die Horzon-Mitarbeiter rund um die Uhr beschäftigt hält, sondern, dass es sich bei den Programmverfeinerungen um neu ersonnene Produkte wie Fruchtschalen-Raumteiler-Kombinationen und Hosen-Kommoden handelt.

Doch ist Moebel Horzon nicht lediglich ein Marketing-Gag. Das lässt sich auch im gerade erschienenen Buch des Firmengründers Rafael Horzon nachlesen. Der Dritte Weg (www Verlag, 2002) beschreibt die Geschichte der Unternehmensgruppe modocom, zu der auch Moebel Horzon zählt. Immer wieder lässt Horzon durchblicken, dass er in seiner Karriere herbe Rückschläge einstecken musste. Sicher, das gehört zu jeder modernen Erfolgsstory dazu.
Selbst Nike versucht, Identifikationspotentiale freizusetzen, indem es seine Stars auch von Misserfolgen sprechen lässt: "I failed, I failed and failed. Then I succeeded." Doch lesen sich solche Offenbarungen nach dem Crash der New Economy nicht wie Motivationsfloskeln für alle Möchtegern-Entrepreneure, die dazu angetrieben werden sollen, selbst in der momentanen Wirtschaftsrezession mit einer cleveren Geschäftsidee eine Firma zu gründen. Sie sind eher ein selbstironischer Kommentar, eine Art subjektive Chronik der New Economy.

Wenn sich Horzon gravierende Fehleinschätzungen eingesteht, etwa bei dem e-commerce Modelabel "Gelee Royal", das im Schatten des dot.com-Booms gegründet wurde und bis heute noch keine einzige Bestellung entgegengenommen hat, dann mit dem Verweis darauf, dass dieser Geschäftsverlauf symptomatisch für die New Economy ist: "Große Feste wurden gefeiert, teure Autos und Flugzeuge wurden gemietet, bis klar wurde, dass niemand im Internet Hundehalsbänder, Langusten oder Spielzeugschaufeln kaufen möchte."

Moebel Horzon ist im Juli 1999 gegründet worden, um die von Horzon vor fünf Jahren ins Leben gerufene Wissenschaftsakademie - eine alternative Bildungseinrichtung für Freidenker, Rentner und Arbeitslose - finanziell zu unterstützen. Mittlerweile trägt Moebel Horzon auch die weniger ertragreichen Firmen der Gruppe und beweist mit jedem verkauften Regal, dass Rafael Horzon nicht nur als Selfmade-Wirtschaftstheoretiker, sondern eben auch als Geschäftsmann ernst genommen werden sollte. Beim zweiten Blick erweist sich etwa sein Verkaufsraum in der Torstrasse nicht bloß als Attrappe, sondern als arbeitskraftsparender und gut inszenierter Köder. Das merkt man spätestens, wenn man die am Eingang angebrachte Postkarte findet, die darauf abgedruckte Service-Hotline wählt und von einer freundlichen Stimme zur Bestellung aufgefordert wird. Wer soweit gegangen ist, zögert an dieser Stelle nicht mehr - und kauft.

Horzons Ein-Produkt-Strategie bietet Anlass zu Spekulationen. Man könnte über die Anziehungskraft philosophieren, die ein Produktangebot auf Kunden hat, das nur aus einem Regal besteht. Doch anstatt also über Reduktion, Minimalismus und Ordnungstrends nachzudenken, scheint es interessanter, den sozial-ökonomischen Zusammenhang ins Auge zu fassen. Schließlich ist Rafael Horzon mit seinem schlanken Regalmodell "Modern" ausgezogen, um die Welt des Möbelmarktes zu verändern. Mitbewerber wie Ikea, Rolf Benz und Flötotto sollten vom Markt verdrängt werden.

Was als Größenwahn abgetan werden könnte, fußt auf einer durchaus interessanten Beobachtung. In seinem Buch schreibt Horzon, dass sein Hauptanliegen darin besteht, "eine Alternative zum Geschmacksdiktat skandinavischer Möbelunternehmen anzubieten, die darauf hinarbeiten, dass irgendwann jeder Mensch auf der Welt so eingerichtet ist, wie es nord- und mitteleuropäische Krankenschwestern, Lehrer und Versicherungsangestellte für richtig halten. Dieser Aspekt ist bei der Globalisierungsdebatte der letzten Zeit übersehen worden: Die weltweite Gleichschaltung des Wohngeschmacks durch Unternehmen, die überall auf der Welt Hallen errichten, in denen unvollständige Möbelbausätze mit völlig unbegreiflichen Namen verkauft werden." Worte, die trotz des notwendigen ironischen Untertons des üblichen Ikea-Bashings, einem Anti-Konzernaktivisten aus der Seele sprechen dürften. Doch wie sehr Globalisierungsgegner insbesondere Horzons Grundsatz der "Dritten-Weg-Theorie" beherzigen sollten - der da heißt, man solle weder die gegebenen Umstände hinnehmen, noch mit (Selbst)Zerstörung auf sie antworten - wird erst deutlich, wenn man sich die strategische Umorientierung ihrer Chefideologen vergegenwärtigt. So nahm die kanadische Autorin Naomi Klein, eine Kanadierin, die man gerne als Rädelsführerin der Globalisierungsgegner bezeichnet, den 11. September zum Anlass, um symbolische Akte der Sabotage ad acta zu legen: "Seit Jahren haben wir uns in dieser Bewegung von den Symbolen unserer Gegner ernährt: ihre Marken, ihre Bürotürme, ihre fotogenen Gipfeltreffen. Wir haben sie als Slogans, als Bezugspunkte, als populäre Bildungswerkzeuge benutzt. Doch waren die Symbole niemals die wirklichen Ziele, sie waren die Hebel, die Klinken. Sie waren, was uns erlaubte, wie neulich die britische Autorin Katharine Aigner es ausdrückte, ,einen Riss in der Geschichte zu öffnen.' Die Symbole waren immer nur die Eingangstüren. Es ist Zeit sie zu durchschreiten." Und mit alternativen Modellen in die ökonomische Ordnung einzugreifen.

Es ist Horzons Schritt aus der symbolischen Sphäre hinaus, der sein Schaffen im (Anti-)Globalisierungskontext so interessant macht. Es genügt es nicht mehr, sich über die entfesselte Weltwirtschaft aufzuregen oder lustig zu machen. Es genügt auch nicht, sie zu kritisieren oder ihre blinden Flecken aufzudecken. Man muss einen Platz in ihr einnehmen und von dort aus aktiv werden.

Ganz wichtig in diesem Zusammenhang ist, dass Moebel Horzon Produkte in erster Linie aus ästhetischer und funktionaler Überzeugung heraus gekauft werden. Ihr besonderer Charme, der über Produktnamen und Werbung, kurz: die Markenidentität, kommuniziert wird, ist nicht nur ein zusätzlicher Kaufreiz, sondern auch die Ebene, auf der der Markt kommentiert wird. Das Motto der 80er Jahre "Ich kaufe, also bin ich" erfährt hier eine neo-emanzipatorische Bedeutung.

Bislang ist das allerdings weniger als ernsthafte Gefahr für Ikea denn als kulturelles Projekt verstanden worden. So ist das Unternehmen eher im Feuilleton rezipiert worden und nicht in den einschlägigen Wirtschaftsmedien; was auch darauf zurückzuführen ist, dass sich die Moebel-Horzon-Käufer aus dem Kulturbetrieb rekrutieren: DJs, Galeristen, Lablebetreiber, kurz, die alternativ angehauchte Szene Berlins. Street Crediblity ist also im Überfluss vorhanden; zu hoffen bleibt, dass seine wirtschaftliche Relevanz nicht außen vor bleibt. Vielleicht sollte Naomi Klein auch mal ein Regel kaufen.



Krystian Woznicki








Zurück zur modocom Presse-Übersicht