FAZ, 28.06.2000




Als im Sommer 1997 an der Berliner Torstrasse die Wissenschaftsakademie Berlin eröffnete, wehte ein Hauch von Nihilismus über die Szenerie. Die beiden frisch renovierten Räume der "ersten Privathochschule Berlins" waren, bis auf die wenigen Besucher, leer. Keine Stühle, keine Getränke, keine zu solcherlei Feierlichkeiten üblichen Häppchen. Nur über eine Wand flimmerte eine Videoprojektion, ein Dokumentarfilm zum Thema "Schwarze Löcher im All". Mehr Verneinung in einem derartigen Rahmen war kaum möglich, und genauso hatte es sich der schweigsam in einer Ecke stehende Gründer dieser Institution, Rafael Horzon, vorgestellt.

Genau ein Jahr zuvor hatte er neben den Hackeschen Höfen eine Galerie namens "berlintokyo" gegründet und vier Ausstellungen mit japanischen Künstlern kuratiert. Was damals niemand wusste, war allerdings, dass weder Masahiro Sugimoto, noch seine Künstlerkollegen Hitoshi Ikeda, Kenzo Ueno und Shigeo Miki überhaupt existierten. Horzon und seine Ko-Galeristen hatten japanische Haushaltsgeräte, Bonbontüten und Bekleidungsstücke von Asienreisen mitgebracht, diese sorgfältig an die Wände montiert und zu jeder Ausstellung erfundene Lebensläufe ausgelegt. Die Galerie wurde von der Berliner "Szene" überrannt, doch als dann Horzons Partner anfingen, auch real existierende Künstler auszustellen, um später sogar an der dokumenta X teilzunehmen, stieg Horzon – "gelangweilt", wie er heute sagt – aus.

Denn wirkliche Kunst hatte Horzon, 30, der zuvor Literatur in Paris und München studiert hatte, nie kuratieren oder gar produzieren wollen. Sein Anliegen war eher, zu zeigen, wie überflüssig und "unmodern" es heute ist, Kunst zu produzieren: "Wenn alles, was in einer Galerie ausgestellt wird, automatisch auch als Kunst akzeptiert wird, wie bei den japanischen Fake-Künstlern, verstehe ich nicht den Anreiz, überhaupt noch Kunst zu machen." Folglich verlegte sich Horzon auf die seiner Meinung nach fortschrittlichere Wissenschaft und inszenierte seinen Wechsel mit der bis zum äussersten reduzierten und unsinnlichen Wissenschaftsakademie Berlin. Natürlich erinnert diese Geste überdeutlich an Marcel Duchamp, der 1917 ein Pissoir an eine Ausstellungskommission schickte und in einem Pamphlet erklärte, dass mangels objektiver Kriterien, was Kunst und was nicht Kunst sei, eben alles Kunst sein müsse, was ein Künstler zu Kunst erklärt. Auch Duchamp hatte bekanntlich daraufhin aufgehört, Kunst zu produzieren, und sich als schachspielender Dandy inszeniert.

Es ist nicht verwunderlich, dass, trotz Horzons proklamierten Ausstiegs aus der Kunstszene, viele seine Wissenschaftsakademie immer noch als Kunstprojekt verstehen, auch wenn in den neuerdings in der Linienstrasse gelegenen Seminar-Räumen mittlerweile ernstzunehmende Experten zu natur- und wirtschaftswissenschaftlichen Themen Seminare abhalten. Und ähnlich verhält es sich mit dem Möbelgeschäft "Moebel Horzon", das Horzon vor einem Jahr gründete. In den weissgestrichenen Ladenräumen verkauft Horzon minimalistisch anmutende Regale mit Namen wie "Modern", "Interessant" und "Attraktiv". Es ist sicherlich kein Zufall, dass sein erster Kunde überhaupt Burkhard Riemschneider von der wichtigen Berliner Galerie neugerriemschneider war. Mit seinen Tag und Nacht beleuchteten, fast leeren Schauräumen wirkt das Geschäft zwischen einem China-Imbiss und einer Zoo-Handlung wie ein Fremdkörper, um nicht zu sagen wie eine – Galerie.

Um Klarheit zu schaffen über seinen Status, hat Horzon im letzten Jahr ein Buch herausgebracht, in dem er auf 130 Seiten mit wissenschaftlicher Gelehrsamkeit darlegt, wie unmodern Kunst und wie modern Wissenschaft und Wirtschaft seien. "Modern sein – Fit im Kopf ins 3. Jahrtausend" heisst das Buch, für das Horzon eigens sein drittes Unternehmen, den www Verlag, gegründet hat. "Ich bin kein Künstler", unterstreicht Horzon auch im Gespräch immer wieder, "und ich werde es auch niemals sein. Ich bin tatsächlich Unternehmer." Einen unternehmerischen Erfolg kann man Horzon auch gar nicht mehr absprechen, mehrere hundert seiner Regale, die er mittlerweile in einer Werkstatt anfertigen lässt, hat er bereits verkauft. "Es gibt in Berlin kaum noch DJs, Galeristen, Art Direktoren oder ähnliches, die noch keinen echten Horzon zu Hause stehen haben", schrieb kürzlich das Wohn-Magazin "HOME", was natürlich übertrieben ist, aber nur ein bisschen.

Viel bemerkenswerter ist allerdings, dass Horzon mit den Projekten seiner Firmengruppe "modocom" das schafft, was so viele der von ihm bemitleideten Künstler vergeblich versuchen, nämlich Verwirrung zu stiften. Im letzten Jahr hielt er im Rahmen des Medien-Festivals BerlinBETA in der Industrie- und Handelskammer einen Vortrag, in dem er vor einem sprachlosen Publikum über neue Marketingstrategien dozierte. Zur Veranschaulichung erläuterte er die kurz zuvor durchgeführte Umtauschaktion seines Möbelhauses: Unter dem Motto "Umtausch + Zersägung = Zufriedenheit" hatte Moebel Horzon seine Kunden dazu aufgerufen, ihre alten IKEA-Regale mitzubringen und dafür – umsonst – ein neues Exemplar des hauseigenen Regals "Modern" mit nach Hause zu nehmen. Schon lange vor Beginn der Aktion stapelten sich IKEA-Regale vor dem Geschäft, die später vor laufenden Fernsehkameras mit Motorsägen zersägt wurden.

Erinnerungen an die Absichten der französischen Situationisten werden hier wach, die schon in den sechziger Jahren versucht hatten, durch inszenierte "Situationen" gegen Kunstbetrieb und Gesellschaft gleichermassen anzugehen. Horzon tut sie in seinem Buch als "Pariser Hippies" ab, die "über einige verkorkst surrealistische Experimente nicht hinausgekommen sind, weil sie entweder zu faul, zu unbegabt oder einfach zu besoffen waren". Viel schwerer wiegt für Horzon allerdings, dass sie sich letzten Endes, am offensichtlichsten durch eine grosse Ausstellung im Pariser Centre Pompidou, doch noch vom Kunstbetrieb hatten vereinnahmen lassen. Genauso wie Duchamp, der in den sechziger Jahren eine Renaissance erlebte und sich in Philadelphia mit einem eigenen Museum als Künstler kanonisieren liess.

Vergehen, die Horzon offensichtlich ebenso grosse Genugtuung verschaffen, wie er sie nach aussen hin als verwerflich darstellt. Denn letztlich erweisen sich in seinen Augen all diese Menschen als "unmodern denkend", Künstler eben. Und sichern ihm seine "splendid isolation" als schwer einzuordnender, aber eben "modern denkender" Unternehmer. Den Kunstkontext meidet er verständlicherweise wie der Teufel das Weihwasser, im Spätsommer ist Horzon daher statt auf Kunstmessen auf der Möbelmesse "Tendenzen" in Frankfurt am Main vertreten. Und um seinen guten Ruf als Geschäftsmann weiter zu festigen, stellt er am 28. Juni mit einer grossen Gala im Berliner Club WMF den nächsten Zweig seines Firmen-Imperiums modocom vor: Das Modelabel "Gelée Royale".



Ingo Mocek








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